Akkordspiel und Liedbegleitung als realistisches pädagogisches Lernziel.

 

 

Um Musik zu machen, muss man kein Künstler sein. Die Lehrmethoden im Instrumentalunterricht sollten nicht ( wie immer noch üblich) an einer künstlerischen Laufbahn sondern an der praktischen musikalischen Lebenswelt ausgerichtet werden.

 

Die gestandenen Gitarrenlehrer werden vielleicht dagegen halten, dass der Instrumentalunterricht von jeher etwas Elitäres war, weil nun mal Wille, Talent und Übung dazugehören. Das mag historisch gesehen richtig sein, aber die Zeiten haben sich geändert. Musikhören und Musikmachen sind mit der Entwicklung der Unterhaltungsmedien zwei getrennte Dinge geworden. Das war noch vor 100 Jahren ganz anders. Wo damals Musik erklang, mußte auch jemand da sein, der sie erzeugte.

 

Ein für den Musikpädagogen ganz bedeutsamer Umstand ist, dass heutzutage weit weniger gesungen wird als früher. Kirche, Schule, Feste, Kneipen, Militär - Singen war einst so alltäglich wie das Sprechen. Früher haben die Leute bei der Arbeit gesungen, heute stellt man auf der Baustelle das Radio an.

Im Grunde kann jeder singen, zumindest mitsingen. Genauso wie meiner Meinung nach jeder normale Mensch auf der Gitarre ein paar Akkorde zu einem Song spielen könnte. Dafür braucht man nicht lange Noten und korrekte Fingerhaltung zu lernen. Und eigentlich braucht man dafür auch keinen Gitarrenunterricht – vorausgesetzt, dass es eine einigermaßen gut entwickelte Musizierkultur in der Gesellschaft gibt. Da sieht es aber schlecht aus.

In musikalischen Kulturen saugen die Kinder musikalische Grundfertigkeiten sozusagen mit der Muttermilch auf. Das ist bei uns anders. Ein Gitarrenschüler bringt heute zwar jede Menge Hörerfahrungen mit, aber es mangelt an elementarster praktischer Vorbildung.

 

Konkret sehe ich Schwächen vor allem im Rhythmusgefühl. Die Musik, die wir meistens hören, ist rhythmisch raffiniert. An der Ampelkreuzung stehen Autos, aus denen hundertstelgenaue Bassdrumbeats dröhnen. Der HipHop zerhackt unsere Sprache in exakte rhythmische Werte, wir alle hören das täglich. Trotzdem mangelt es vielen Schülern am Anfang ihrer Ausbildung am simpelsten Taktgefühl. Wenn im Radio 23 Stunden am Tag Lieder mit 4/4- Drumbeat erklingen, könnte man ja denken, dass die Schüler auch ohne Mitzählen die Eins finden.

Doch dem ist oft nicht so.

 

Nächster Problempunkt wäre das harmonische Empfinden. Wann wechselt bei einer einfachen Melodie die Harmonie ? Kann man das hören ?......sollte man meinen……………….und man kann`s auch lernen, dass zu hören.

Das sind so die Probleme, mit denen ich mich rumschlage oder besser gesagt, rumgeschlagen habe.

Wir kommen jetzt nämlich auf den Ausgangspunkt zurück: Gerade das von den Koryphäen verachtete Griffeklampfen ist meiner Ansicht nach das beste Rezept, um dem heutigen Durchschnittsschüler den Einstieg ins Musikmachen effektiv zu ermöglichen.

Wir schlagen mit einer Klappe nicht nur mehrere, sondern alle Fliegen, die es im erfolgreichen Anfangsunterricht zu schlagen gibt.

 

Wie das? Ich erkläre.

 

Rhythmus ist nicht erst in der populären Musik das A und O. Wir haben eine begrenzte Anzahl von Tönen, aber eine unbegrenzte Anzahl von Rhythmen. Wenn ich einem Schüler eine Skala aufschreibe, spielt er deswegen noch lange kein gutes Solo, selbst wenn er die zur Harmonie passenden Töne genau trifft. Das Solo wird erst dann interessant, wenn der Schüler abwechslungsreiche Rhythmen findet. Die guten Improvisateure sind in erster Linie gute Rhythmiker, die blitzschnell interessante und schlüssige Rhythmen generieren können.

 

Punkt 2: Harmonien.

Landläufig gilt die Melodie als das zentrale Glied der Musik. Dem ist aber nicht so, denn die Tonskalen leiten sich aus den Gesetzen des Zusammenklangs ab. Die Melodie ergibt sich aus den jeweils am deutlichsten klingenden Tönen von Harmonien.

Ein Beispiel: Die Schüler kommen reihenweise durcheinander, wenn sie eine Melodie geübt haben, aber deren harmonischen Zusammenhang nicht kannten. Das ist deswegen so, weil sie einer Melodie innerlich automatisch einen harmonischen Kontext zuordnen, der dann in den seltensten Fällen mit der konfrontierten Harmonik übereinstimmt.

Durch das Spielen von Harmonien wird der musikalische Sinn effektiver geschärft als durch das Melodiespiel.

 

Demzufolge ist das Aneinanderreihen von Akkordgriffen mehr als nur jene populäre Trivialität von Autodidakten.

Es ist eine geniale Therapie für alle musikalischen Schwächen und Minderbegabungen.

 

Und gleichzeitig ist das "Klampfen" eine Versicherung, dass es im weiteren Verlauf der Ausbildung nicht zu jenem totalen Zusammenbruch kommt, nach dem dann gar nichts mehr übrigbleibt ( nach dem Motto: "Ich hatte mal als Kind 5 Jahre Gitarrenunterricht, kann aber nicht einmal ein einfaches Volkslied begleiten.").

 

Was hält nun die ehrwürdigen Gitarrenpädagogen von dieser Methode ab?

 

Das erste große Problem sind die Noten, die heilige Kuh aller gestandenen Musiker. Ein durchgeschlagener Akkord würde die Notation von durchschnittlich 5 Noten übereinander erfordern. Das geht am Anfang didaktisch nicht.

Gemäß dem Leitspruch - Zuerst die Noten, dann die Musik – quält sich der Schüler durch Hilfslinien und Vorzeichen, bis er nach ein paar Jahren endlich einen Akkord lesen darf.

 

Fraglos ist eine Notation der Musik im Unterricht unerläßlich. Doch warum muß es unbedingt das herkömmliche Notensystem sein? Die rhythmische Notation mit Akkordsymbolen reicht ja erst einmal. Das Problem bei der Umsetzung von Noten in Musik liegt eh meist an der zeitlichen Komponente, sprich Rhythmus. Es ist doch für die Entwicklung eines brauchbaren Notenspiels sehr günstig, wenn sich der Schüler am Anfang vornehmlich auf den Rhythmus konzentrieren kann.

 

Desweiteren wird in der "konservativen" Denkweise das gleichzeitige Umgreifen von mehreren Fingern für den Anfang verworfen, weil es theoretisch viel schwieriger ist als das Melodiespiel, bei dem ja im Grunde nur jeweils ein Finger bewegt werden muss. Fraglos ist die motorische Leistung bei einem Akkordwechsel größer als beim einstimmigen Spiel, zudem benötigen wir für einen Wechsel Zeit, die vom jeweils letzten Notenwert stillschweigend abgezogen wird. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass beim Melodiespiel viel öfter umgegriffen werden muss. Auf den Gesamtablauf eines Stückes gesehen, ist das Melodiespiel also nervlich anstrengender.

 

Nächstes Gegenargument: Rhythmusspiel ist monoton, vor allem wenn es keine Melodie dazu gibt.

Das Mitsingen zur Gitarre ist zumindest bei komplexeren Rhythmen schwierig, das muß man zugeben. Aber das kann im Unterricht der Gitarrenlehrer übernehmen.

 

 

Ist es vielleicht manchem ambitionierten Profimusiker unter seiner Würde, mit den Anfängern Lagerfeuersongs zu trällern? Oder denken manche Lehrer nur in den Kategorien, die für ihr künstlerisches und pädagogisches Prestige nützlich sind? Ist aber ein Schüler mit einem Preis bei "Jugend musiziert" für einen Lehrer ein besseres Aushängeschild als 10 Schüler, die Straßenmusik machen?

 

Desweiteren geht es um das Beharren auf dem klassischen Fingeranschlag im Anfangsunterricht.

 

Wenn man in einem Experiment Gitarrenunkundige auffordern würde, das Gitarrespielen pantomimisch darzustellen, würden wohl alle als Anschlagsform der rechten Hand eine Pendelbewegung verwenden. Ist es daher nicht ein wenig paradox, wenn die Anfänger im Anfangsunterricht mit einer völlig anderen Spielweise konfrontiert werden?

Deswegen schlägt man bei mir fürs erste mit Plektrum an. Die klassische Fingerhaltung kann der Schüler dann lernen, wenn er sich dafür interesssiert.

 

 

Mir fällt kein Zacken mehr aus der Gitarristenkrone, wenn ich mit den Gitarrenschülern Reinhard Mey und Nena oder sogar Andrea Berg singe.

Das klingt auf jeden Fall besser als Pflichtklassik. Die Schüler lernen mehr, auch wenn es nicht in Noten, Tonleitern und Schwierigkeitsstufen meßbar ist. Für die Wirkung von Musik ist es enorm wichtig, dass der Macher nicht überanstrengt wird. Musik muss locker sein. Das Erlebnis dieser Leichtigkeit ist beim konservativen Ansatz unwahrscheinlicher. Ich bewerte Musik vor allem danach, ob sich eine gewisse Energie vom Spieler auf den Zuhörer überträgt.

Wenn die ganze Energie in Konzentration und Versagensangst über ein künstlerisch anspruchsvolles Stück gesteckt wird, bleibt am Ende nichts übrig, was den Zuhörer erreichen könnte. Also was soll’s? Haben wir damit der Kunst gedient?

Nein, im Gegenteil.

 

 

Das Akkordeschrammeln ist aus methodischer und didaktischer Sicht gesehen weitaus besser als sein Ruf in den Lehrerkreisen. Gitarrenunterricht muss auf die aktuelle Realität des Instrumentes Rücksicht nehmen, um nicht ins Leere zu laufen. Die Realität besagt, dass die Gitarre als Rhythmus- und Harmonieinstrument verwendet wird, demzufolge muss der Gitarrenunterricht darauf besonders eingehen. Am besten gleich am Anfang.